Prof. Beda Stadler kommentiert die Lektüre von “eingeimpft”

Wenn zwei Blinde sich die Farbenpracht der Welt erklären, könnte das als Buch allenfalls interessant sein. Ein sehender Leser würde sich in diesem Fall allerdings kaum verunsichern lassen, falls das beschriebene Weltbild nicht der Realität entspricht, die er um sich herum wahrnimmt.

Wenn ein Buchautor, der seine eigene Meinung höher wertet als eine naturwissenschaftliche Bildung, einen anthroposophischen Arzt trifft, um sich eine Meinung zur Frage des Impfens zu bilden, und daraus ein Bestseller wurde der sogar verfilmt wird, entstehen Fake News.

So geschehen, als David Sieveking im Buch „Eingeimpft“ einen Vortrag von Doktor Meinecke an der Klinik Havelhöhe beschreibt. Der homöopathische / anthroposophische Kinderarzt fährt die übliche Strategie der Anbiederung. Er will nicht Impfgegner, sondern bloß Impfkritiker sein. Die anwesenden Eltern werden zuerst mal mit Pseudowissenschaft zugedeckt, etwa damit, dass die ideale Arbeitstemperatur des Immunsystems bei 40° läge. Fast schon erfrischend ist allerdings die Aussage: „In der anthroposophischen Sichtweise ist Fieber eine erwünschte Nebenwirkung des Impfens, als Zeichen für eine natürlich ablaufende Immunantwort.“ Dies ist doch bemerkenswert, weil im Normalfall die Impfkritiker auf den Nebenwirkungen herumreiten, um aufzuzeigen, wie “gefährlich” Impfungen seien. Um das gleich mal zu klären, hier ein kleiner Ausblick in die Wissenschaft: Jede Immunreaktion resultiert in einer Entzündung. Eine Entzündung ist immer von Fieber begleitet, das aber nicht so stark sein muss, oder bloß lokal auftritt, so dass man es allenfalls nicht messen kann. Aber lassen wir die wissenschaftlichen Richtigstellungen zu Herrn Sievekings Buch, dazu man müsste ein zweites Buch schreiben.

Kritisiert man das Buch, weiß man allerdings nicht, wem man damit mehr Unrecht antut, dem homöopathisch-anthropologisch alternativmedizinischen Arzt oder dem Autoren. Falls Herr Sieveking die Erklärungen zum Immunsystem von Doktor Meinecke als wörtliche Mit- oder Nachschrift übernommen hat, müsste man dem Arzt mitteilen, dass er mit seinem Immunologie-Wissen heute durch jede Medizinerprüfung fliegen würde. Damit ist der Autor allerdings nicht ganz aus dem Schneider, weil man grundsätzlich sich seine Meinung nicht aus der Meinung eines anderen bilden sollte. Die Impfung ist nicht ein Teil der Alternativmedizin, genauso wie man chemisches Wissen nicht aus der Alchemie bezieht.

Ich habe den Film noch nicht gesehen, bin aber überzeugt, dass die emotionalen Komponenten des Buchs herausgestrichen werden, weil das Denken dem Glauben immer arg in die Quere kommt. Ich freue mich aber schon auf ein Buch, in dem ein Vertreter des „Flache-Erde-Glaubens” einem Autoren erklärt, dass Flügel zum Fliegen hinderlich sind.

Prof. Dr. Beda Stadler (emeritierter Immunologe)

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