In der Corona-Pandemie sind viele neue Namen aufgetaucht, die sich in pseudokritischer Attitüde als „Impfskeptiker“ präsentiert und Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Das bedeutet jedoch nicht, dass „Urgesteine“ der Impfgegnerschaft nicht weiter tätig gewesen wären. Dazu gehörten und gehören vor allem der Jahrhundert-Medizinbetrüger Andrew Wakefield und sein Mitstreiter Robert Kennedy jun mit seiner unsäglichen Childrens Health Defense-Organisation, eine Art Rotkäppchens Wolf getarnt als Kinderschutzorganisation

Beide versuchen nun wieder, einer alten Impfgegner-Legende neues Leben einzuhauchen. Am 19.06.2022 haben beide einen halbstündigen „Dokumentarfilm“ veröffentlicht, bislang bei kleineren Videoplattformen. Vermutlich ist Youtube für sie nicht mehr zugänglich, „Children’s Health Defense“ ist ganz aktuell bei Instagram und Facebook gesperrt worden. Der Titel: „INFERTILITY BY VACCINATION: A DIABOLICAL AGENDA – ROBERT F KENNEDY JR & ANDY WAKEFIELD“.

Es geht um die alte Erzählung, dass die WHO in Afrika (Kenia) 2014 Tetanus-Impfkampagnen mit der Absicht durchgeführt habe, Frauen zu sterilisieren. Das geht so weit, dass der Trailer andeutet, der generelle Geburtenrückgang in den Industrieländern habe womöglich auch mit dieser Sache zu tun.

Der Film hat – jedenfalls am Anfang – durchaus eine wissenschaftliche Anmutung. Die in Kenya auftretenden Protagonisten aus jüngerer Zeit, durchweg einfache Leute, machen den Eindruck, als seien sie tatsächlich überzeugt von dem, was sie da erzählen. Das mag durchaus so sein. Geschickt verdichtet sich der Film dann, mit Schnitten auf alte Aufnahmen und Statements, zu einer wirklich massiven Verschwörungserzählung, mit der offenbaren Absicht, nicht nur die Impfbereitschaft der Menschen zu untergraben, sondern von der WHO bis zu den lokalen Behörden alles zu diskreditieren, was irgendwie mit Impfen zu tun hat. Im Film wird behauptet, dass Labore den zur Sterilisierung notwendigen Inhaltsstoff (das Schwangerschaftshormon HCG) nachgewiesen hätten – wenn auch nicht in einem irgendwie nachvollziehbaren Muster.


Wie erwartbar, werden wissenschaftliche Belege nicht angeführt, Shownotes zum Video gibt es nicht, ebenso wenig eine Kommentarmöglichkeit. Aber es wäre ja seltsam, würde sich zu dieser Erzählung nichts finden, womöglich in den einschlägigen Medizindatenbanken

Oha! Schon werden wir bei PubMed/NCBI fündig. Aber was ist das? Bei PubMed/NCBI findet sich tatsächlich ein magerer Abstract zum Themenkreis (Tetanus vaccine may be laced with anti-fertility drug. International / developing countries) schon aus 1995 (wir kommen ganz am Schluss darauf zurück), der aber seinerseits auf keinerlei Belege verweist und nicht einmal Autorennamen trägt („No authors listed“), also im wissenschaftlichen Sinne wertlos ist. Die Originalveröffentlichung stammt aus Vaccine Weekly, einem Journal, dem nur ein kurzes Dasein beschieden war – nach den Angaben bei Scimago von 1994 bis 1996.

Außerhalb der großen Datenbanken findet sich „HCG Found in WHO Tetanus Vaccine in Kenya Raises Concern in the Developing World“ – veröffentlicht im Open Access Library Journal, einer Publikation, die jedermann gegen Bezahlung eine – natürlich hochseriöse – Veröffentlichung anbietet.

Und hier finden wir nun die ganze von Wakefield und Kennedy jr. in Szene gesetzte Geschichte. Publiziert 2017, also auch schon eine Weile her. Aber mehr auch nicht, nicht mehr als eine Story, nicht viel mehr als eine halbe Bildschirmseite. Aber gefolgt von einer Referenzliste mit immerhin 109 Topics die allerdings nicht auf wissenschaftliche Quellen verweisen, sondern auf ähnliche Narrative von Beteiligten und Interessierten. Bis die Liste dann in für die Sache völlig irrelevante Links übergeht, die ersichtlich als „Füller“ dienen sollen.

Ein Blick auf die Liste der AutorInnen ist immerhin interessant. Allein die MitautorInnen Christopher A. Shaw und Lucilja Tomljenovic lassen die Herzen jedes wahren  Impfgegners höher schlagen.

Beide sind bekannte impf“kritische“ Autoren, die u.a. mit Organisationen verbunden sind, die impfkritische Aktivitäten finanzieren. Z.B. mit dem Children’s Medical Safety Research Institute (CMSRI, schon wieder solch ein Euphemismus). Von hier aus lassen sich auch direkte Fäden zu Andrew Wakefield verfolgen. Hier sind wir auf dem Spielfeld gut organisierter und finanzkräftiger, international vernetzter Impfgegner, die kein Problem damit haben, die WHO direkt anzugehen.

Es gibt auch deutschsprachige Veröffentlichungen. Ursprung dieser war offenbar ein Artikel des Portals „katholisches.info“ aus. „Geheimaktion: WHO und Unicef wollten Millionen Frauen geheim sterilisieren“ lautet der Titel, ein Artikel, dessen Spuren sich im Internet verfolgen. “katholisches.info“ führt als Kronzeugen einen gewissen Stephen Karanja an. Und da lohnt wieder ein Blick auf die Autorenliste der Veröffentlichung im Open Access Library Journal: Karanja ist dort Mitautor und damit Kollege von Shaw und Tomljenovic. Womit sich ein gewisser Kreis schon einmal schließt.


So weit, so zweifelhaft. Aber was war denn 2014 in Kenia nun wirklich los, was selbst die katholische Kirche dort in Aufruhr versetzte und gegen die WHO einnahm?

Die kenianischen Kirchenleute waren offenbar wirklich panisch und hatten sich tatsächlich sechs Ampullen des Impfstoffs besorgt und untersuchen lassen, Darauf gingen sie mit der Nachricht, drei davon seien mit HCG versetzt gewesen, an die Öffentlichkeit. Die WHO ließ daraufhin aus verschiedenen Chargen insgesamt 52 Ampullen analysieren – ohne Ergebnis. Dies brachte zunächst der WHO von Seiten der Kirchenmänner den Vorwurf der Manipulation ein. Ohne Belege allerdings.

Kurz danach meldeten sich die Leiter zweier Labore, die die inkriminierten ersten Ampullen untersucht hatten. Sie gaben zu Protokoll, dass die Kirche ihre Ergebnisse falsch interpretiert und die Proben auch gar nicht als Impfstoff, sondern als menschliche Gewebeextrakte eingeliefert hatten. Andere Labore traten dem bei und äußerten ihrerseits offen den Verdacht, die inkriminierten drei Proben seien gezielt kontaminiert gewesen.

Die WHO veröffentlichte daraufhin eine Pressemitteilung, in der sie der Geschichte vom HCG in Tetanus-Impfstoffen entgegentrat und die Wichtigkeit der Impfung gerade für Frauen im gebärfähigen Alter betonte. (Neugeborenen-Tetanus ist  -jedenfalls hier bei uns – sehr selten, kommt aber vor – wer es aber mal gesehen hat, wird sich vermutlich zeitlebens zum Thema Impfen nicht mehr äußern.

Die Behörden in Kenya nahmen die Sache nicht auf die leichte Schulter, zumal sich die katholische Kirche mit ihrem ganzen Gewicht in die Sache eingebracht hatte. 2017 wurde dann der Abschlussbericht eines Expertengremiums veröffentlicht, in das auch das Council der katholischen Bischöfe Kenias mit eingebunden war. Das Ergebnis: keinerlei Hinweise auf verunreinigte Tetanus-Impfstoffe und ein klares Statement gegen „irreführende Behauptungen, die der Öffentlichkeit Schaden zufügen“.

Das wars. Nicht gerechnet allerlei offensichtliche Ungereimtheiten, wie die angebliche dreimalige Tetanusimpfung in kurzen Abständen (Unsinn) oder die Tatsache, dass nach einer angeblichen Sterilisierung von bereits einer Million Frauen kein Rückgang der Geburtenrate festzustellen war. Aber wen interessieren schon solche Kleinigkeiten, wenn es um eine handfeste Verschwörungstheorie geht.

Die Herren Wakefield und Kennedy jr. offensichtlich nicht. Es ist schon mehr als dreist, so eine abgefeimte Lügengeschichte wieder aufzuwärmen und zu versuchen, sie medial wieder in Umlauf zu bringen. Wobei beide natürlich schon wissen, dass ihnen eine nicht geringe Anhängerschaft vor allem in den USA nach wie vor alles zu glauben bereit ist.


Und zum Schluss noch ein Disclaimer: weiter oben war ja angemerkt, dass die erste gefundene Publikation bereits aus 1995 stammte. Laufen diese Geschichten tatsächlich schon so lange um? Ja, tatsächlich, richtig Drive bekamen sie aber erst mit der Kenia-Geschichte 2014. Der eigentliche Ursprung liegt noch viel früher, in den Versuchen seit den 1970er Jahren, eine Methode zu entwickeln, die per Injektion in der Lage wäre, die orale Einnahme von Kontrazeptiva mit ihren Unsicherheiten und ihren Compliance-Risiken für einen längeren Zeitraum zu ersetzen. So wirklich ist da ja nie was draus geworden. Aber schon sehr früh entstanden auf diesem Boden die ersten Verschwörungserzählungen, dass man international an Methoden zur Massensterilisierung forsche.


Autor: Udo Endruscheit

Bild von Tumisu auf Pixabay


 

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