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„Impfen Pro & Contra:
Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung“ von Dr. Martin Hirte
Eine Analyse

Einführung „Impfen Pro & Contra“

Liebe Eltern und Interessierte,

Sie kennen mich nicht, darum möchte ich mich kurz vorstellen. Mein Name ist Dr. Jan Oude-Aost, ich bin Vater und Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, lebe und arbeite in Dresden und beschäftige mich in meiner Freizeit mit alternativmedizinischen Therapien. Einen Teil meiner Weiterbildung zum Facharzt absolvierte ich in der Autismusambulanz in Dresden. Dort kam ich das erste Mal mit dem Mythos in Kontakt, Impfungen könnten Autismus auslösen und habe dort auch Gespräche mit verunsicherten Eltern geführt.

Auf das Buch „Impfen Pro & Contra“ von Martin Hirte bin ich gestoßen als es 2012 in einem lokalen Veranstaltungsblatt für Familien wohlwollend besprochen wurde. Einige Aussagen in der Rezension hatten mich sowohl neugierig als auch skeptisch gemacht und so begann ich, mich mit dem Buch zu beschäftigen. Auf dieser Website können sie das Ergebnis detailliert nachlesen, inklusive Quellen. Diese Zusammenfassung kann Ihnen nur einen kurzen Eindruck bieten.

Was möchte Hirte?

Hirte zweifelt in seinem Buch die Einschätzung der Ständigen Impfkommission (STIKO) zu Wirksamkeit und Sicherheit von Impfungen an. Hirte gehen die Empfehlungen der STIKO zu weit und er hält viele für schlecht begründet. Seine Zweifel und Kritikpunkte versucht er, in „Impfen Pro & Contra“ zu belegen. Wenn er Recht hat und seine Ansichten belegen kann, ist es wichtig, ihn bei der Verbreitung dieser Erkenntnisse zu unterstützen. Wenn er Unrecht hat und seine Ansichten nicht ausreichend belegen kann, stellt „Impfen Pro & Contra“ eine Gefahr für die Gesundheit vieler Menschen dar, denen wirksamer und sicherer Schutz vor Infektionskrankheiten versagt bliebe, weil Hirte diesen in der Form ablehnt, wie die STIKO ihn empfiehlt.

Wie geht Hirte vor?

Hirtes Ansinnen, Quellen und Autoritäten zu hinterfragen, ist richtig und im wissenschaftlichen Diskurs sogar unvermeidlich. Doch Hirte ist nicht ansatzweise in der Lage, auch nur eine seiner zentralen Aussagen zu belegen. Von jemandem, der den wissenschaftlichen Konsens bezweifelt, erwarte ich belastbare Belege und Hypothesen, die einer zumindest oberflächlichen kritischen Betrachtung standhalten.

In seinem Buch zeigt Hirte immer wieder, dass er kritisch genug ist und so seine eigene verzerrte Darstellung erkennen müsste.

  • Hirte gibt Quellen nicht korrekt wieder. Beispiele finden sich u. a. auf Seite 10, Seite 28, Seite 57, Seite 73, und 67/2018.
  • Hirte nutzt fragwürdige Quellen um seine Aussagen zu belegen. Beispiele finden sich u. a. auf Seite 52 und Seite 102
  • Hirte macht Interessenkonflikte der STIKO und anderer öffentlicher Institutionen zu einem der Kernpunkte seiner Kritik.
    Eigene Interessenkonflikte und die seiner Quellen übersieht er jedoch großzügig, in dem er sie nicht nennt.
    Beispiele finden sich u. a. auf Seite 29, Seite 47 und Seite 54.
  • Hirte verwendet teilweise ethisch problematische Quellen. Beispiele finden sich u. a. auf Seite 52 und Seite 50/2018.

Während der Lektüre entstand bei mir der Eindruck, Hirte und ich leben in unterschiedlichen Welten. Der Weg vom angemessenen Zweifel zur großen Verschwörung ist bei ihm zum Teil nicht weit: Die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts empfiehlt zu viele Impfungen, Impfungen finden viel zu früh statt und die Mitglieder der Kommission sind nicht neutral, weil sie sie irgendwie der Pharmaindustrie verbunden sind. Und so werde leichtfertig die Gesundheit unserer Kinder für den Profit der Pharmaindustrie gefährdet, denn Impfungen wirkten nicht, hätten zu viele und zu schwere Nebenwirkungen. All das dürfe nicht erforscht werden, weil die Ständige Impfkommission mit der Pharmalobby zusammenarbeite. Zum Beweis dieser Zusammenhänge zitiert Hirte aus Studien, in denen Nebenwirkungen von Impfungen erwähnt werden, also aus Studien, die es eigentlich gar nicht geben dürfte, wenn man Hirtes Behauptungen glauben möchte.

Ich habe mich anderthalb Jahre lang mit Hirtes Buch beschäftigt und glaube nach alledem nicht, dass es die wissenschaftliche Aufklärung ist, die ihn antreibt. Die einzige Idee, die für mich jedenfalls nachvollziehbar erscheint, ist seine weltanschauliche Argumentation. Ich denke, Hirte hat gute Intentionen und will niemanden schaden. Er glaubt an etwas, was dafür sorgt, dass er die Wirklichkeit in bestimmten Bereichen sehr selektiv wahrnimmt. Das passiert uns allen. Ich finde es nicht problematisch, an etwas zu glauben und das auch zu vertreten. Problematisch finde ich, so zu tun, als sei so ein Glaube wissenschaftlich begründet. Hirte gibt in seinem Buch Hinweise, woran er glaubt und wie er zu seiner Haltung gegenüber Impfungen kommt: Es sind Rudolf Steiner und die Anthroposophie. Der Anthroposophie widmet Hirte in seinem Buch einige Absätze und erklärt, warum Rudolf Steiner (einige) Impfungen ablehnte. Der Verein „Ärzte für eine individuelle Impfentscheidung“ ist ebenfalls eng verbunden mit anthroposophischen Ärzten. Und gemeinsam mit einem anthroposophischen Arzt hat Hirte einen Beitrag in einer Schweizer Ärztezeitung veröffentlicht.

Fazit

Letztlich ist der Effekt wichtig, den das Buch hat. Hirte hat mit „Impfen – Pro und Contra“ ein Buch geschrieben, in dem die aktuellen Kenntnisse über Impfungen so verzerrt dargestellt werden, dass sie in großen Teilen falsch sind. Seine Meinung zu Behörden und ärztlichen Kolleginnen und Kollegen erreicht zwar noch nicht das Niveau eines Verschwörungsmythos, trägt jedoch bereits dessen Kern in sich. Die WHO hat 2019 Impfverzögerung als eine der zehn größten Gefahren für die globale Gesundheit benannt. Aus meiner Sicht trägt Hirtes Buch auf sehr subtile und intransparente Weise zu diesem Problem bei.

Wenn Sie durch Aussagen in diesem Buch verunsichert sind, folgen sie den Quellen, fragen Sie nach. Gerne auch uns.

Mai 2019

Dr. Jan Oude-Aost

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