Richtig krank

Das Atmen fiel mir schwer, ich fand es anstrengend, ruhig im Bett zu liegen, der ganze Körper schmerzte, das Umdrehen von der einen auf die andere Seite war ein Kraftakt. Ich hatte die Grippe. Die echte. Von einem Moment auf den nächsten hatte ich mich plötzlich total zerschlagen gefühlt, hohes Fieber entwickelt und im gleichen Moment war mir der Unterschied zwischen der echten Grippe (Influenza) und einem grippalen Infekt (Erkältung) klar. Man ist todkrank. Ich kann seither verstehen, warum es eine Empfehlung zur Grippeimpfung vor allem für ältere Menschen, die möglicherweise schon an Vorerkrankungen leiden, und auch für Schwangere gibt. Ich war weder alt noch schwanger, hatte allerdings drei Kinder zu versorgen, die ebenfalls zeitgleich an der Grippe erkrankt waren. Es war eine Horror-Zeit und es hat lange gebraucht, bis wir alle wieder halbwegs fit waren. Bis ich meine volle Kraft wieder hatte, sind sicher 2 Monate vergangen. Und obwohl die Empfehlungen der STIKO keine Grippeimpfung für junge, gesunde Menschen wie mich vorsehen, lasse ich mich seither jedes Jahr gegen die Grippe impfen.

Wenn man bedenkt, dass im Winter 1918/1919 bei der Spanischen Grippe 25 bis 50 Millionen Menschen an der Influenza verstarben, kann man die Gefahr vielleicht etwas besser verstehen. Das sind rund 2,5 bis 5 mal so viele Todesfälle, wie die vier Jahre Weltkrieg zuvor gefordert hatten. Das Problem bei der Grippe ist, dass sie als solche gar nicht behandelt werden kann, wenn man sie einmal hat. Außer Symptome lindern, Fieber senken und viel trinken, sowie sich möglichst viel ausruhen, kann man praktisch nichts tun. Es gibt jedoch die Möglichkeit, der Grippe durch eine Impfung vorzubeugen oder sie damit zumindest in ihrem Verlauf abzumildern.

Auf der Jagd nach dem passenden Impfstoff

Das Problem hierbei ist jedoch, dass die Grippeviren recht wandlungsfähig sind und sich tatsächlich jedes Jahr verändern, mutieren. Man kann also nicht jedes Jahr den gleichen Grippeimpfstoff verwenden. Der saisonale Influenza-Impfstoff enthält jeweils Bestandteile der Virus-Varianten, die für die aktuelle Saison erwartet werden. Labore auf der ganzen Welt – in Deutschland das am Robert Koch-Institut angesiedelte Nationale Referenzzentrum für Influenza – untersuchen dafür kontinuierlich die weltweit herumfliegenden Influenzaviren und übermitteln ihre Ergebnisse an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die WHO wägt dann für uns etwa im Februar die jeweilige Zusammensetzung des diesjährigen Impfstoffes ab, sie versuchen also, anhand der aktuell gefundenen Viren abzuschätzen, welche Viren im folgenden Winter die meisten Menschen anstecken werden. Meist handelt es sich um Totimpfstoffe mit abgetöteten Viren oder Virusbestandteile, die die entscheidenden aktuellen Antigene enthalten, gegen die unser Körper dann frühzeitig Antikörper entwickeln kann, um „bereit“ zu sein, wenn er später im Winter den echten Grippeviren begegnet. Das heißt, dass unser Immunsystem bereits im Voraus die Möglichkeit hat, den Kampf gegen dieses Virus zu üben, ohne dabei krank zu sein. Stecken wir uns später an, ist das Immunsystem schon vorgewarnt und kann schnell reagieren – bevor die Krankheit voll ausbricht.

Man versucht deshalb, schon viele verschiedene Infos in die Impfung zu packen und am besten wirkte zuletzt der sogenannte quadrivalente (Vierfach) Impfstoff, der ab Oktober hier in Deutschland verimpft werden kann. Da es rund zwei Wochen dauert, bis man nach der Grippeimpfung die volle Immunität erworben hat und nach einigen Monaten die Wirkung wieder abflaut, wird die Impfung ab Oktober oder November empfohlen, um für die Wintersaison wirklich bestmöglich geschützt zu sein.

Planung und Herstellung des Grippeimpfstoffs sind ziemlich kompliziert. Unter anderem braucht man dafür spezielle Eier von speziellen Hühnern, die auf speziellen Farmen unter kontrollierten Bedingungen gehalten werden. Auf diesen Eiern wird der Impfstoff produziert (und muss bereits jetzt in seiner wahrscheinlich benötigten Menge geplant werden). Es werden Grippevirenpartikel in das Eiweiß dieser Bruteier eingebracht, die dort über einige Tage reifen und sich vermehren. Dann werden die Viruspartikel durch Hitze und chemische Veränderung deaktiviert, so dass sie zwar noch Immunität anregen können, sich aber nicht mehr vermehren und so auch keine Erkrankung mehr auslösen können.

Leider gibt es bislang kaum eine andere Möglichkeit, wie z.B. Zellkulturen, um den Grippeimpfstoff herzustellen. *) Viele finden das mit den Hühnereiern total eklig und irgendwie kann ich das auch nachvollziehen, es gibt jedoch bislang keine bessere Möglichkeit und in Anbetracht der Gefahr, die vom Grippevirus ausgeht, und der bereits begonnenen Suche nach Alternativen, halte ich dieses Verfahren derzeit für tolerierbar. Man braucht halt viele, viele Impfdosen – und die müssen rasch hergestellt werden. Der Impfstoff für 2019/2020 steht schon bereit und enthält etwas andere Antigenkombinationen als letztes Jahr. Für Menschen mit Eiweißallergie gibt es auch einen Impfstoff, der auf Zellkulturen ohne Allergiegefahr hergestellt wurde.

Impfen nützt!

Wird man nun gegen die Grippe geimpft, so verläuft die Erkrankung deutlich milder oder bleibt ganz aus und man kann sie auch viel weniger auf andere Menschen übertragen und damit helfen, kleinere oder größere Epidemien zu vermeiden. Der Impfstoff ist in der Regel gut verträglich. Klar, unser Organismus reagiert auf den Impfstoff und es kann vorübergehend zu einer leichten Lokalreaktionen (leichte Schmerzen, Rötung und Schwellung an der Impfstelle) kommen, manchmal fühlt man sich auch ein paar Tage schlapp oder müde, hat Gliederschmerzen oder leichtes Fieber – das zeigt einfach, dass unser Körper die Botschaft verstanden hat und die Immunabwehr aktiviert.

Allerdings schrecken viele Menschen vor der Grippeimpfung zurück, weil sie selbst erlebt oder von anderen gehört haben, dass man danach richtig krank wird. Wie so oft ist danach aber durchaus nicht deswegen. Im Winter ist es nunmal so, dass man zwangsläufig einer Vielzahl an Viren begegnet, mitunter eben auch den Viren, die einen grippalen Effekt auslösen können, allgemein Erkältung genannt. Die Wahrscheinlichkeit, dass man im Winter krank wird, ist einfach hoch. Insofern trifft man hier häufig auf den zeitlichen Zusammenhang, dass man in absehbarer Zeit nach der Grippeimpfung krank wird, jedoch mitnichten an der Grippe erkrankt oder durch die Impfung krank wurde, sondern sich einfach zufällig und zeitgleich einen saisonalen Infekt eingefangen hat. Das ist vielfach untersucht und belegt worden. Weil aber wegen dieses Trugschlusses immer noch viel zu wenige Menschen, gerade auch medizinisches Personal, ausreichend gegen die Grippe geimpft sind und damit zu ihrer Verbreitung beitragen, wird derzeit eben auch die Impfpflicht diskutiert.

Wir sind vom Impfgedanken überzeugt – aber durchaus nicht von der Impfpflicht. Wir möchten euch dazu ermutigen, euch aus eigenem Antrieb und vielen guten Gründen impfen zu lassen. Einen Zwang braucht es dafür nicht – die guten Gründe reichen doch völlig aus. Und übrigens braucht es auch nicht erst das Durchmachen einer so schweren Erkrankung, das kann ich aus eigener Erfahrung echt nicht empfehlen. Also, wenn ihr Vorerkrankungen habt, medizinisches Personal seid, viel in Kontakt mit anderen, insbesondere älteren Menschen steht, schwanger seid oder über 60 Jahre alt, dann lasst euch doch vom Hausarzt oder der Hausärztin mal zur Grippeimpfung beraten. Denn wie immer gibt es auch hier Kontraindikationen, insbesondere solltet ihr zum Zeitpunkt der Impfung gesund sein, euer Immunsystem also nicht grade schon mit einem Infekt beschäftigt sein. Da ältere Menschen oft eine geschwächte Immunabwehr haben, kann hier ein so genannter adjuvantierter (wirkverstärkter) saisonaler Influenzaimpfstoff verwendet werden, der weniger aktive Impfstoffbestandteile enthält und so für diese Gruppe besser geeignet ist. Was eure Kasse erstattet, fragt ihr am besten vorher einmal nach.

Generell kann man sagen, dass man eine bessere Grundimmunität gegen die Grippe in all ihren Variationen aufbaut, wenn man sich jedes Jahr impfen lässt, auch wenn der Impfstoff mal nicht so gut passt. Wir wünschen euch in jedem Fall eine virenfreie Herbst- und Winterzeit!

 

*) Update, Oktober 2020: Der Beitrag ist inzwischen ein Jahr alt – es hat sich einiges getan. Über die Methode, in tierischen Zellen Viren heranreifen zu lassen, kommt man inzwischen zu synthetischen Anzuchtstoffen, die wahrscheinlich in absehbarer Zeit eine Produktion von Impfstoffen in großem Maßstab ermöglichen werden und damit die Anzucht an Millionen von Hühnereiern vielleicht ganz überflüssig werden lassen.


Autorin: Dr. med. Natalie Grams für den INIBlog auf www.eingeimpft.de


Bildnachweis: Heather Hazzan SELF Magazine

 

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